Es ist eine lange Geschichte, die "Entstehung" unserer Orgel, denn erst 12 Jahre nach der Einweihung wurde der Kirchenraum mit einer "richtigen" Orgel ausgestattet.
Komplizierte Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren, unterschiedliche Auffassungen über Art, Größe und Standort in der Kirche und nicht zuletzt fehlende Finanzmittel haben zu jahrelangen Diskussionen geführt und den Bau der Orgel immer wieder verzögert.
Orgelsachverständige haben oft auf die Dringlichkeit des Vorhabens hingewiesen und dabei die damals eingesetzten kleinen Instrumente als Provisorien und Zumutung für die Gemeinde bezeichnet.
Nach dem langen Hin und Her hat der Kirchenvorstand am 31.10.1972 die Initiative ergriffen und den Bau einer Orgel beschlossen. Das Landeskirchenamt (LKA) wurde unter dem 25.11.1972 über den Beschluss informiert. Ausdrücklich weist der Kirchenvorstand in dem Schreiben darauf hin, "dass nun unter allen Umständen das Orgelbauvorhaben realisiert werden soll."
Die unmissverständliche Position des KV hat Wirkung gezeigt. Schon am 7.12.1972 erging seitens des LKA die Zusage über einen Zuschuss in Höhe von 30.000 DM. Den Auftrag für den Bau hat die Firma Kreienbrink aus Osnabrück am 11.3.1973 erhalten.
Die festliche Einweihung mit Kantor Jan-Jürgen Wasmuth konnte bereits am 28.10.1973 gefeiert werden.
Die Gemeinde hat ein Instrument erhalten, dass technisch ausgezeichnet gelungen und handwerklich solide verarbeitet ist. Orgeln reagieren ganz besonders auf Wetter- und Temperaturschwankungen. Dank der guten Arbeit des Orgelbauers ist unsere Orgel damit bisher problemlos fertig geworden. Auch die große Kirchenrenovierung Anfang der 90er Jahre hat sie gut überstanden. Eine Generalüberholung war erst 1999 notwendig.
Ihre eigentliche Zweckbestimmung ist die gottesdienstliche Begleitung der Gemeinde. Bei der Austattung (Disposition) wurde daruf besonders geachtet. Aber auch solistisches Orgelspiel ist möglich, wie die Orgelkonzerte seinerzeit gezeigt haben. Nicht jedermanns Sache ist das scharfe Klangbild. Mit dieser Disposition ist die Orgel jedoch optimal auf den Kirchenraum abgestimmt.
Leider verfügt die Orgel nur über sogenannte Labialpfeifen (die vereinfacht dargestellt wie ein Blockflötenkopf aussehen und funktionieren). Obwohl seinerzeit vom LKA empfohlen, wurden keine Zungenregister eingebaut.
Bei Zungenregister werden die Töne von schwingenden Metallplättchen erzeugt (wie bei einer Mundharmonika) und ermöglichen ein farben- und klangreiches Orgelspiel.
Für den aus heutiger Sicht günstigen Preis von 83.000 DM hat die Kirchengemeinde 1973 eine Orgel erhalten, die auch in den nächsten Jahrzehnten zuverlässlich funktionieren und zum Lobe Gottes erklingen wird.
Am 14. Juni 1960, als mit dem Bau der Kirche noch gar nicht begonnen worden war, schrieb der damalige Superintendent Stisser an die Landeskirche, man wolle mit dem Neubau der Kirche in der Gartenstadt beginnen und diese brauche nun mal eine Orgel. Doch man wolle sich aber auf ein kleines Instrument beschränken, da in St Martin ja „unsere schöne große Orgel“ ist und ein kleines Werk, wie es in der Auferstehungskapelle auf dem Friedhof ist, „kann ja auch sehr gute Dienste tun“. Damit war der Konflikt vorprogrammiert.
Denn die mit 7000 Gemeindegliedern größte Gemeinde des Kirchenkreises konnte sich mit einer so kleinen Orgel nicht zufriedengeben. Man empfand diesen Vorschlag als Affront der Mutterkirche gegen unsere junge, aufstrebende, moderne Gemeinde. Der ursprüngliche Plan bestand 1960 darin, vorne an dem Pfeiler der Orgelempore den Spieltisch zu bauen, an die Altarwand dann die Pfeifen.
Das Problem war: Der Chor wäre verdeckt gewesen. Denn die vordere Empore war und ist für den Chor vorgesehen. Im Dezember 1961, also 2 Monate nach der Einweihung der Kirche, wurde ein kleines Leihinstrument geliefert. Mit diesem wurde bis 1973 der Gesang begleitet. In den folgenden Jahren geschah wenig in Sachen Orgel. Die Kirchengemeinde baute das Pfarrhaus II (1964) und Kita Grüner Brink (ab 1965).
Doch ganz abgeschrieben war die Orgel nicht. Es gab immer wieder neue Ideen. Im Jahr 1967 schlug man vor, sie auf der Westempore, also hinten in der Kirche, zu platzieren. Dann sollte sie doch wieder auf die Ostempore, jedoch mit Ausrichtung nach Süden, also nicht in den Gottesdienstraum.
Eine völlig neue Idee wurde im Oktober 1967 eingebracht: eine elektronische Orgel sei günstiger und beanspruche weniger Platz. Für solch neumodischen Kitsch gab die Landeskirche jedoch keine Zuschüsse. Sie lehnte elektrische Instrumente ab. So wurde auch diese Idee wieder verworfen. Inzwischen war die Stimmung bereits so weit eskaliert, dass die Gemeinde dem Superintendenten offen vorwarf, das Ganze bewusst hinauszuzögern und der Gemeinde immer wieder neue Steine in den Weg zu legen.
Um die schwierige Finanzierung einer Pfeifenorgel zu meistern, wurde schließlich die Idee eingebracht, die Orgel abschnittweise über mehrere Jahre zu bauen. Darüber wurde von der Kirchengemeinde im September 1969 sogar ein Vertrag mit einer Orgelbaufirma abgeschlossen. Doch wieder schritt die Landeskirche ein. Sie musste den Vertrag genehmigen und weigerte sich. Ihr Argument:
Das Gesamtwerk würde durch die späteren Rück und Umbaumaßnahmen wesentlich teurer werden. 1972 gab es dann ein neues Angebot von der Firma Kreienbrink aus Osnabrück. Zu diesem Zeitpunkt waren auch die beteiligten Personen andere als in den 1960er Jahren. Der Orgelbauer hatte zudem pfiffige Ideen, wie man eine angemessen große Orgel auf engem Raum unterbringen konnte, ohne den Chor zu verdecken.
Die Lösung war: man baute die Orgel über die Brüstung hinaus und größten Pfeifen sollten unten quer statt senkrecht hineingebaut werden. Dieses Angebot setzt sich durch. Nach knapp einjähriger Bauzeit konnte die Orgel mit ihren fast 1000 Pfeifen endlich am 28.10.1973 in einem feierlichen GD eingeweiht werden.
Wir sehen: Früher war nicht alles besser. Auch da musste man Dinge er kämpfen und es herrschte Finanzknappheit. Wir können den damaligen Kirchenvorsteher: innen und Pastoren dankbar sein, dass sie so beharrlich waren. Denn sonst hätten wir vermutlich nicht so eine wunderbare Orgel in unserer Kirche.
Foto:(c) Joerg Hengmith